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Beitrag vom 23.08.2005
Millions
Tatjana Zilg
Zwei Brüder finden eine große Tasche voll Geld. Der jüngere hält sie für eine Gabe der Heiligen, die er seit dem Tod der Mutter imaginiert. Ein Geniestreich von Trainspotting - Regisseur Danny Boyle
Der siebenjährige Damian (Alex Etel) wirkt auf dem ersten Blick wie ein Tagträumer. Als er mit seinem Vater (James Nesbitt) und dem zwei Jahre älteren Bruder Anthony (Lewis McGibbon) in ein neugebautes Haus am Stadtrand einer nordenglischen Industriestadt zieht, ist seine erste Tat, aus Umzugskartons eine Pappvilla neben den Eisenbahnschienen zu errichten. Besonders eifrig baut er an einem überdimensionalen, schornsteinähnlichen Schacht, durch den er sich einen ganz speziellen Blick zum Himmel kreiert. Schon bald darauf erfährt der Zuschauer/die Zuschauerin, warum dies dem Jungen mit dem engelsgleichen Gesicht so wichtig ist. Er beschäftigt sich intensiv mit Heiligen, die ihn in dieser Hütte besuchen sollen. Und er hat Glück: Nach und nach erscheinen ihm die unterschiedlichsten Persönlichkeiten, die sehr gelungen mit britisch schwarzen Humor dargestellt werden. Es sind Heilige, die Damian bereitwillig von ihren guten Taten erzählen, während sie einen Joint rauchen oder enthusiastisch Gospel singen.
Eines Tages geschieht etwas, was in den Augen des Kindes nur ein Wunder sein kann: Ein Zug prescht an seinem Rückzugsort vorbei und mit einem großen Knall landet vor seinen Augen eine Tasche mit Hunderttausenden von britischen Pfund. Damian ist sich sofort sicher: Seine Heiligen wollen von ihm, dass er mit diesem Geld gute Werke vollbringt. Ohne zu zögern weiht er seinen älteren Bruder ein, der die Bestimmung des Überraschungspaketes nicht ganz so eng sieht und dem Kleinen nahe legt, auf keinen Fall den Erwachsenen von dem Geld zu erzählen.
Damian muss schnell lernen, dass es nicht so einfach ist, ein Heiliger zu sein, wie er sich das vorgestellt hat. Die Brüder organisieren ein Festessen für Obdachlose, beschenken eine christliche Männergruppe in der Nachbarschaft und wecken so das Misstrauen und die Neugier der Umgebung. Anthony erfüllt sich, als Ausgleich für den ganzen Stress, einige materielle Jungenträume und lässt auch die Klassenkameraden daran teilhaben. In unaufdringlicher Art und Weise teilt der Film den ZuschauerInnen mit, was hinter der Realitätsflucht von Damian steht: Kurz vor dem Umzug ist die Mutter der beiden Jungen gestorben. Der Vater tut sein Möglichstes, seine Kinder auch ohne seine Frau weiter gut zu versorgen, ist aber oftmals überfordert. Dem kleinen Männerhaushalt fällt es in dieser frühen Trauerphase offensichtlich schwer, miteinander über den Schmerz zu reden. Jeder versucht auf seine Art, das alltägliche Leben fortzusetzen.
Unsanft wird Damian aus seinen Illusionen geweckt, als er erfährt, dass das Geld aus einem Bankraub stammt. Einer der Ganoven steht plötzlich vor seiner Kartonhütte und stellt ihm unangenehme Fragen. Seinem Bruder ist sofort klar, dass er die Diebesbeute sucht. Mit einem wunderbar magischen Gesichtausdruck, der diesen außergewöhnlich guten Kinderschauspieler auszeichnet, klagt Damian:
"Ich dachte, es wäre ein Wunder, aber es war nur ein Raubüberfall."
Die Kernfrage des Filmes, was eigentlich hinter dem fiktiven Begriff "Geld" steht, der das Verhalten der Menschen so prägt, wird nun überdeutlich. Die Jungen vertrauen sich dem Vater an, der nach kurzem Zweifel das Geld aufgrund seiner enttäuschenden Erfahrungen mit der Obrigkeit behalten will. Unterstützt wird er dabei von Dorothy (Daisy Donovan), die vor einigen Tagen in sein Leben getreten ist, nachdem sie an der Schule seiner Söhne eine Spendensammlung für die Dritte Welt durchgeführt hat.
Doch der düstere Bankräuber gibt so schnell nicht auf. Beim Schulkrippenspiel versucht er mit aller Gemeinheit, die ein um seine riskant erworbene Beute Geprellter aufbringen kann, an das Geld zu kommen. Aber er hat nicht mit der unschuldigen Energie eines Kindes gerechnet, das an seinen Träumen und Hoffnungen festhält. Schließlich ist die Gefahr gebannt und die ZuschauerInnen werden mit einem Happy End verwöhnt, das bis nach Afrika führt, ein kleines Wunder ist und wie ein vorzeitiges Tribut für die Live-Aid-Kampagne des Sommers wirkt.
AVIVA-Tipp: Die raffinierte Geschichte greift Kinderfragen über die soziale Ungerechtigkeit auf der Welt geschickt mit satirischen Stilmitteln, einem ausgefeilten Spannungsbogen und wohldosierten Pointen auf. Durch die Handschrift von Regisseur Daniel Boyle entstand ein filmisches Wunderwerk, das Erwachsene genauso wie Kinder begeistern wird. Wie bei den Vorgängern "The Beach" und "Trainspotting" setzt er Zeitraffer und Spezialeffekte zur Farbgebung und zur Scharf- und Weichzeichnung im genau richtigen Moment ein, lockte aus seinen DarstellerInnen ein Höchstmaß an Gestik und Mimik, welches zu einer leicht comichaften Überzeichnung der Charaktere führt, und fesselt die ZuschauerInnen durch urplötzliche Perspektivwechsel, rasante Schnitte und ungewohnte Detailaufnahmen. Ergänzt wird der Geniestreich mit einem perfekten Soundtrack aus technoiden Klängen, Ambiente, Ethno und klassischer Musik.
Millions
Großbritannien 2004, 97 Minuten
Regie: Danny Boyle
Drehbuch: Frank Cottrell Boyce
DarstellerInnen: Alex Etel, Lewis McGibbon, James Nesbitt, Daisy Donovan, Christopher Fulford, Pearce Quigley, Jane Hogarth, Alun Armstrong, Enzo Cilenti, Nasser Memariza, Kathryn Pogson, Harry Kirkham, Cornelius Macarthy, Kolade Agboke, Leslie Phillips
Kinostart: 25.08.2005
Verleih: Fox Searchlight Pictures
Der Film im Web:
www.millions-derfilm.de